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Thiemos Archiv

Eine uralte Reflektion zu einem uralten Beitrag aus dem E-Business-Weblog. Zuerst liegen gelassen, da für belanglos gehalten, dann aber wiederholt festgestellt, dass die Gedanken immer noch gut und wichtig sind. Jetzt hier archiviert.

In »Weblogs, Qualität und Eisberge« (Februar 2005) denkt Martin Röll über die subjektive »Qualität in Weblogs« nach und warum es nicht sinnvoll ist, deren scheinbares Fehlen zu bemängeln. Hier ist mein Versuch einer Zusammenfassung.

Ausgangspunkt sind die immer wiederkehrenden Diskussionen zu »es gibt zu wenig gute Weblogs« bzw. »in Weblogs steht nur Müll«. Hinter solchen Aussagen steckt ein »falsches Paradigma der Blogosphäre«, meint Röll. Weblogs sind keine Plattform, sie sind Infrastruktur: Telefon, Briefe, Homepages oder Weblogs sind nur Mittel zum Zweck der Kommunikation. Nichts davon hat von sich aus Qualität.

»Steigt das Mitteilungsbedürfnis der Leute, nur weil jetzt Weblogs verfügbar sind?« Vergleiche: Kaufen die Leute mehr ein, nur weil wir längere Öffnungszeiten haben? Vieleicht ja. Vieleicht nein. Wer diskutieren will, kann das schon seit langem: in Foren, dem Usenet usw. Weblogs können das Diskutieren einfacher und angenehmer machen, genauso wie verlängerte Öffnungszeiten doch den einen oder anderen zu zusätzlichen Einkäufen verführen. Aber wer soll das qualitativ hochwertige »politische Weblog«, das als Beispiel angeführt wird, führen? Hat nicht jeder, der auf hohem Niveau publizieren will und kann, längst sein Medium gefunden, und sei es ein kommerzielles? Hat die Frage nach einem »tollen politischen Diskurs« überhaupt etwas mit Weblogs zu tun, oder ist es »eine ganz allgemeine Gesellschaftsfrage«?

»People always want more, no matter what they got. People suck.« formulierte Unlock, Chefredakteur des Diskettenmagazins PAiN und damit Herausgeber einer Instanz eines völlig anderen Mediums, einmal sehr treffend. Man kann es nie allen recht machen. Offenbar ist das sogar ein elementarer Bestandteil unserer Natur: nie zufrieden zu sein.

Warum spotten wir über die »belanglosen Teenager-Tagebücher«? »E-Mail hat auch keine Qualität«, so Röll. Auch private Homepages haben keine Qualität. Und ist das schlimm? Nein. 99% aller E-Mails sind belanglos. 99% aller Homepages sind belanglos (oder radikaler formuliert: sind Müll). Warum gibt es sie dann? Weil ein paar Leute, mindestens aber der Autor, sie nicht für belanglos halten oder hielten. »Die allermeisten Blogs haben eine Zielgruppe von ziemlich genau 5 Personen.« Wer diese fünf für mich sind, lässt sich den Kommentaren entnehmen, die diese Leute in meinem Blog hinterlassen.

Die spannenden Entwicklungen findet nicht in den »guten Blogs« statt, die Röll mit der Spitze des Eisbergs vergleicht. Spannend wird es »da, wo ganz normale Leute ganz normale Weblogs schreiben«. Wenn der Teenager zu blogg.de geht, in fünf Minuten sein Weblog einrichtet und anfängt, über seinen Schultag und seine Katze zu schreiben. Je mehr Leute das tun, um so mehr »gute Blogs« haben wir zukünftig zur Auswahl.

Die Suche nach »guten Weblogs« ist wie die Suche nach guten Kinofilmen oder einem guten Fernsehprogramm. Es gibt Müll, weil es Leute gibt, die Müll mögen. Besser: weil es Leute gibt, für die das kein Müll ist. Letztendlich wird niemand gezwungen, den Fernseher einzuschalten, geschweige denn, überhaupt einen zu besitzen. Niemand verlangt vom Kinobesucher, alle Filme zu besuchen. Niemand zwingt den Leser, Weblogs zu konsumieren, die für ihn uninteressant sind.

»Remember that 90% of everything is crap.« lautet eine abgewandelte Form des sogenannten Sturgeon's Law.

Ein Leser des E-Business-Weblogs versucht ähnlich wie ich, Martin Rölls Gedanken zu reflektieren, scheitert und bloggt darüber. Seine Wahl der Mittel ist angemessen – er setzt sogar Trackbacks ein. Um so bedeutungsvoller ist seine Kritik, die darauf hinausläuft, dass Rölls Beitrag für ihn belanglos ist, was – wenn er den Beitrag verstanden hätte – völlig in Ordnung ist.

Ein anderer Leser stellt die Frage, woran Weblogs oft scheitern. Ist das wichtig? Ich habe einmal in einem völlig anderen Zusammenhang die Theorie aufgestellt, dass viele Leute gar nicht daran interessiert sind, aus den Erfahrungen anderer zu lernen. Die Leute wollen selbst scheitern und ihre Lehren daraus ziehen. Das ist wichtig, und so lange es nicht mit besonderen Investitionen verbunden ist, ist das völlig legitim. Aus nichts lernt man besser als aus seinen eigenen Fehlern. Übertragen auf Blogs heißt das: Ist der Teenager überhaupt daran interessiert, von uns zu erfahren, »woran Weblogs oft scheitern«? Will er sich über Qualität belehren lassen? Sicher nicht. Er will über seinen Schultag und seine Katze schreiben, sonst nichts.

Letztendlich gilt, wie überall sonst auch: »Internet ist freiwillig

"uralt": als Wikimaniac wundert man sich, wenn man sich im Blogmedium für Referenz auf "Uraltes" beinahe entschuldigen muß. In der WikiSphere gibt es die schöne Idee des WikiNow: Wiki is an eternal now. Hmmh, interessante Frage zum Weiterdenken.
Rainer
Das ist richtig: In einem Wiki gibt es keine "neusten Artikel" (die "letzten Änderungen" sind eine Wartungsfunktion, keine für den Zugang zu den Inhalten). Es gibt einfach nur einen "jetztigen" Zustand. In einem Blog ist das genau umgekehrt. Allerdings möchte ich für mich allein gar kein Wiki führen. Es würde mich langweilen, meine eigenen "alte" Texte zu perfektionieren. Das "ewige Jetzt" funktioniert nur, wenn sich viele beteiligen. Nur so finde ich selbst nach monatelanger Inaktivität ein Wiki vor, dass sich kontinuierlich im "Jetzt" befindet.
Thiemo

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